Wir betreten einen großen, dunklen Raum. Ein Grollen ist zu hören – verstörend. Verstörend soll es auch sein – wie die gesamte Ausstellung. Sie will uns „uneasy energies“ bescheren. Wir befinden uns auf der Transmediale 2012. Durch einen schwarzen Vorhang betreten wir nun eine noch größere Dunkelkammer.
Eine Kakophonie aus Schreien, Ausrufen, Musik und wilden Geräuschen stürmt auf uns ein.
Wir gehen gemeinsam zu einer Fotografie, ein wenig größer als eine Postkarte. Auf ihr sehen wir Chris Burden, der sich zwei elektrische Drähte in die Brust rammt. Das hört sich gewaltvoll an, sieht aber im Ergebnis eher friedlich-magisch aus – wie ein leuchtendes Herz. Interessant, wie viel Frieden in so einer gewaltvollen Situation stecken kann.
Die Schreie von einem auf dem Boden liegenden Computer, der wie von Schreibtisch gefegt aussieht, ziehen uns in ihren Bann.
Zu sehen sind Spieler, die nicht mehr in „ihr“ Spiel kommen – und völlig ausrasten. Mir kommt das sehr bekannt vor, ob ich nun an meine eigenen Ausraster denke oder an die Schimpftriaden der Teilnehmer meiner Computerkurse. Unsere Ausraster blieben jedoch unentdeckt – die Jungs, die hier schreien, haben ihre Verzweiflung ins Netz gestellt – und so sind sie in der Transmediale gelandet.
My Generation 2010 heißt das Werk, was nur den Namen mit der Gegeration gemein hat, die „The Who“ einst besungen haben.
Weiter geht’s zur VNS Matrix – was ich als Venus Matrix lese. „A Cyberfeminist Menifesto“. Ich gewinne den Eindruck, dass meine weiblichen Begleiterinnen nichts damit anfangen können – aber das ist nur ein Eindruck meinerseits und mag völlig an der Realität vorbei gehen. Die Lichtbox spielt mit einem ganzen Strauß von Symbolen: Einhörner, Venusmuscheln, Der Denker, Herkules um nur einige zu nennen. Das alles schon kreiert vor 21 Jahren, als der Cyberspace „gerade“ erst 1984 von William Gibson erfunden worden war.
Da – der Monolith aus Stanley Kubricks 2001, nein, es ist eine Festplatte die im Buchlook daherkommt und auf einem beleuchteten Sockel unter Glas steht – und der Untergrund ist genau die changierende Folie, mit der die Transmediale auch wirbt. Auf dieser Festplatte hat die Gruppe „Art 404“ Software und Texte im Wert von 5 Millionen Dollar gesammelt. Da steht es nun, das wertvolle Objekt. Wie viele Millonen dieser Objekte stehen wohl in Millionen von Haushalten, ähnlich gefüllt?
Es wird klassisch. William S. Burroughs und Antony Balch sind mit Ihren Cut-Ups von 1966 auf der Transmediale 2012 vertreten. Uns wird das Konzept erklärt: Die Cut-Up-Technik von Brion Gysin mixt vorhandenes Material immer und immer wieder und kombiniert die Fragmente immer wieder neu. Aus der „Sounddusche“ kommen immer wieder die Worte „yes“ und „hello“ – uneasy energie!
Das Grollen zu Begin war übrigens eine Installation von TR Kirstein – es begleitet uns die ganze Zeit weiter auf der Ausstellung.
Das nächste Exponat heilt die Deep Water Horizon mit dem Bereichsreparatur-Pinsel-Werkzeug von Photoshop. Das wäre schön, wenn man mit dem Tool die Realität „reparieren“ könnte.
Wir haben nur noch wenig Zeit – also spurten wir vorbei an zwei PlayStation2-Geräten, die sich gegenseitig immer wieder mit Ihren CD-Laden auf dem Eject-Knopf öffnen. Endlich, das perfekte Perpetuum Mobile 🙂
nikola-tesla-and-his-wardenclyffe-tower-and-laboratory4.jpgWir sehen einen Mann – und ich weiß sofort, wer es ist – mir fällt aber sein Name nicht ein, dafür David Bowie, der ihn in einem Film gespielt hat. Das Foto zeigt einen Mann, der unter einem Faradayschen Käfig sitzt – während über ihm die Blitze imposant herumzucken. TESLA, wie konnte ich den Namen vergessen – ich werde alt… Nikola Tesla wollte mit seinem System weltweit kostenlos Energie für alle per Funk zur Verfügung stellen. Als die Geldgeber davon erfuhren, drehten sie den Geldhahn zu – kostenlose Energie für alle? Das geht nicht…
Mit diesem Frust bewegen wir uns zu einer Sammlung von Fotos aus Flickr, die zeigen, wie in Afrika die Menschen unter gesundheitsschädlichsten Bedingungen Kupfer aus Elektroschrott per Verbrennung gewinnen. Erst haben unsere imperialistischen Vorfahren diese Länder schamlos ausgebeutet, heute schütten wir postimperialistischen Enkel die gleichen Länder mit unserem vergifteten Müll zu.
Ich bemerke gerade, dass ich zwei Exponate unserer Führung vergessen habe – da waren noch zwei Projekte in Séparées – vielleicht sind sie mir deshalb zeitweise verloren gegangen.
Nun: Zwei Frauen mit Videoprojekten. Die eine erzeugt Brummschleifen, indem sie ein an ein an einen Verstärker angeschlossenes Kabel über Ihren Körper gleiten lässt und dabei gefilmt wird.
Die andere zerstört einen Röhrenmonitor mit bloßen Händen – was sowohl den Monitor als auch die Hände in Mitleidenschaft zieht. Sie dokumentier das mit ihrer Handykamera – der Bildschirm des Exponates ist genau so groß, wie der Handybildschirm. Die Geräusche sind interessant – auch dieses Video bringt uneasy energies.
Nach dem Ende der Führung sind meine Studenten mit Steuern, die sie evtl. zahlen müssen, beschäftigt.
Ich bin etwas traurig. Ich wünschte mir, dass sie nur für einen Moment die alltäglichen Banalitäten vergessen könnten und sich ein paar Minuten mal auf etwas einlassen könnten.
Ich lasse mich ein.
Und erlebe die restlichen Ausstellungsstücke teils allein, teils mit Roman gemeinsam.
Und wieder starker Tobak. „Interface“ von Bjorn Erik Haugen zeigt Kriegsvideos, auf denen Menschen getötet werden. Mich erinnert das fatal an Computerspiele. Die Mörder klingen wie Spieler im AudioChatSystem TeamSpeak. Hier werden aber nicht programmierte Pixel bekämpft – hier werden echte Menschen hingerichtet. Aber ich finde es gut, dass uns Haugen mit dieser Perversität konfrontiert.
Festplatten mit Kontaktmikrofonen, Internet-Bettler-Pages, Ausdrucke von Hanf-Blättern auf Traktorpapier von 1971, ein Künstler, der mit „Filtermeister“, einem Photoshop-PlugIn“, herumspielt und den Screencast hier präsentiert, eine Forkbomb, Linux Virgins verstören mich wonnig.
„In Search of the Castle“ erinnert mit an die 1980er Jahre – echte, analoge Videoeffekte. Eine ganz eigene Anmutung, die ich völlig vergessen hatte.
Und schließlich sehe ich mir mit Roman eine völlig verzerrte Simpsons Folge an. Alle Farbflächen wurden vektorisiert und durcheinandergewirbelt – wir haben die ganze Folge gesehen, während immer wieder Besuchergruppen die Kopfhörer aufsetzten und sie nach wenigen Sekunden wieder verwirrt ablegten.
Dann gab es noch einige Zwillinge, die mit Monstern kämpften oder MiniMonitore zwischen ihren Händen schweben ließen.
Beim Herausgehen entdecke ich noch Steve Ballmer, der seine Company loved – ok – das ist nun also auch Kunst geworden…
Mit Scheuklappen noch schnell in den Museumsshop, um den wunderschönen Katalog (jedenfalls äußerlich) zu kaufen.
Dark Drives – war für mich auf jeden Fall sehr anregend – wie schon einige Ausstellungen der Transmediale.
Noch morgen und übermorgen im Haus der Kulturen der Welt.
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