Rooftoprestaurant die Zweite, tausend Köstlichkeiten, 7 Folterschritte des Magens, 8 Zungenschmeichler oder ein Tag in Chinatown

Im Übrigen gibt es jetzt braune (organic!) Papierhandtücher auf manchen Toiletten. Ich liebe diese hauchdünnen Papiere, die man auf die Klobrillen legt, also keine Drapierkunst auf dem Lokus, mehr und hinterher- wuuusch, ab dafür, wir ersparen weitere Details…

Wir schauen bei John vorbei, aber PB hat Dienst und wir versprechen wiederzukommen. Bevor wir gehen, trifft sie uns mit San Franciscos Armor-Pfeil mitten ins Herz: „You have to move here, you just belong.“ Puuh! Little John ist überrascht, dass wir auch ihn gerne näher kennen lernen wollen, nicht nur seinen Vater und wünscht uns ebenfalls einen schönen Tag.Frühstück im Underground, weil das WiFi flutscht und der „Kaffe“ schmeckt und überhaupt.

Danach Klamotten bei BigBubbles zum Waschen abgeben.

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Heute fahren wir DingDing rauf und runter und schauen, wohin es uns verschlägt.

Im Büroladen auf dem Weg und zur Cable Car Station empfangen uns Kinder, die im Eingang auf dem Boden sitzen müssen. Keine Ahnung, ob die Lehrerin Rotstifte einkauft, oder sie eine Führung bekommen. Jedenfalls auch eine Möglichkeit sie daran zu hindern verloren zu gehen. Andreas bekommt das geliebte Drei-Loch-Schreibheft und dolle Schreiber.

An der Station sprechen wir mit einer Frau, die uns wärmstens den alten Friedhof in Presidio empfiehlt. Sie entschuldigt sich ein bisschen dafür uns einen Friedhof zu empfehlen, aber der Ausblick wäre klasse. Auch sie war schon in Heidelberg. Erstaunlich, wie viele Amis mal in Gudolddschörmanie waren.

Pflaster kaufen in der Pharmacy, die Hügel fordern ihren Tribut. Ein rundbuckeliger Öpi versucht wackelig seine Tagesration „Chocolate-Bars“ aus dem unteren Regal zu fischen – das Fach ist leer. Mehr Enttäuschung geht nicht auf einem Gesicht. Quote für die Cineasten: „Sometimes u eat the bar, and sometimes the bar eats u“. (Welcher Film? Wer es rät bekommt ein albernes Mitbringsel).

Ding Ding! Fahrtwind im Haar und über uns der blitzblaue Himmel (darf ich nur sagen, wenn es wirklich ein lupenreiner wolkenloser und ein wasweissichunterwelchenKonditionendasgilt-Himmel das ist!). Die gebogenen Dächer von Chinatown löcken. Wir springen ab und rein ins Getümmel. Unter alldem blöden Mist, den die Welt nicht braucht, gibt es auch andere Facetten. Heute ist Aktions- und Protesttag. An allen Ecken protestieren alt und jung. Sie musizieren, singen, meditieren, informieren. Beeindruckend, die fühlbare Dichte der Energie der konzertierten Aktion. Gelbe Tshirts und Flyer überall inklusive improvisierter Info-Box.

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Dazu die pittoreske Architektur und versteinerte Gesichter alter Chinesen, die die hässlichsten Sonnenschutze auf den Köpfen mit solch einer Würde tragen, dass man negieren möchte, dass es so etwas wie Bad Taste überhaupt gibt.

Dann der Höhepunkt: das einzige Balkonrestaurant des Viertels. Die Amis, die vom Klo kommen, frage ich, ob es gut war. Verstört beziehen sie meine Frage zunächst nicht auf das Essen, aber nach korrigierter, sinngemäßer Wiederholung ermutigen sie uns in den ersten Stock zu gehen. Und dann sitzen wir da: kaum einen Meter breit der Balkon, Andreas schafft es gerade an der Feuerleiter vorbei auf seinem Zwergenstühlchen Platz zu nehmen. Und dann aber entfaltet sich der ganze Zauber der Chinesischen Kultur. Waldorf und Stettler erfreuen sich an Szenen, die sich die Cohen Brothers sich nicht ausdenken können: Im Park sitzt eine Mann und begutachtet sein Knie, Touristenfänger schieben ihren Beute über die Straße ins Restaurant, uralte Steinstatuen schieben sich zentimeterweise durch die Straße, drei rosa Damen werden von einem müden Aktivisten mit den Augen verschlungen und ein Greis in goldenem wallendem Gewand mit traditionellem Kopfschmuck zieht seinen Trolley die Querstraße hinauf. Dubiose Waren verschwinden in einem Keller, die vorwitzige Taube, wir nennen sie „Züshiyo-gyuofan-wei-ho“, halten wir davon ab, unsere 7 Gänge der kleinen Zungenfolter zu entweihen. Alles sehr, sehr, schmackhaft und nicht ganz so exotisch wie die Mohnsuppe (siehe 2010). Der Glückskeks verspricht als Höhepunkt, dass demnächst eine tolle Nachricht kommen wird. All das passiert komprimiert in einer süßen Stunde intimer Zweisamkeit auf einem Balkon in Chinatown. Mal ehrlich, das ist doch unglaubhaft bis zum Abwinken! Wer will, mag eine Gegengeschichte erfinden…

Ausklang beim Indi. Was ist heute im Angebot? Es ist Happy hour und wir bekommen ein Token für ein zweites Bier. Immer wieder stelle ich fest, dass das „Häffeoueizen“ mehr nach Urinprobe, als nach Bier aussieht, aber es schmeckt besser ohne Zitrone. Diesmal fotografieren die Cable Carmänner die Touristen

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, ein Auto knutscht die Bahn, was aber niemanden interessiert, hinter uns haben zwei alberne Vollblond-Amerikanerinnen einen Lachflash und die Nachbarjungs treffen sich in der Abendsonne während ein Dude hinter uns einen Blues singt. Was will man mehr? Von hier oben sehen wir ein noch Hochzeitspaar, einen Wagenschieber, bei dem nicht klar ist was die Person mit dem Berg an Dingen vorhat. Homeless oder Business? Man weiß es nicht.

Rückfahrt mit der Cable Car 20 Minuten anstehen, ich fröstele und ziehe mir Socken an, während man meine professionelle „Layertechnik“ bewundert.

Mit den beiden Aussis in der Schlange quatschen wir über Packstrategien, Klamottenkauf und Tugenden des Zweitkoffertrends (sie hat so viel eingekauft, dass sie einen weiteren Koffer benötigt. Er fand das völlig lächerlich, weil man eh nur eine Zahnbürste braucht). Als er mich fragt, warum ich mit einem Mann unterwegs bin, der älter als ich erscheint, kontere ich, dass er mehr „Erfahrung“ habe und treffe den Nerv seines Humors und er antwortet begeistert „Shut up“. Ach, die Patriarchen sind eine Wonne. Nach dem sie uns mitteilen, dass sie so verärgert über die Sozialschmarotzer in Australien seien, entgegne ich:

„We are entering the world of politics“. Wir entfalten unsere dezidierte Haltung zu Bankenregenschirmen und erweitern ihren Horizont um eine Hutbandgröße. Dann ist es Zeit einzusteigen. Drinnen sitzen wir separat (ohne Waschräume) und schauen aus dem Fenster.

Man genieße folgende Szenerie:

Im Hintergrund sitzen bei offener Tür die schichtfreien Cable Car Männer und lesen Zeitung.

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Im Gebäude links daneben öffnet sich die Haustür und eine Familie tritt auf die Straße, den Blick ins Wohnzimmer freigebend auf viele leuchtende Dinge in rot. Ein asiatisches Geburtstagskind darf Wasserbomben auf das Haus werfen, aber sie prallen immer wieder ab. Ein Paar mit Kinderwagen schaut romantisch-versonnen zu, eine Passagierin der stehenden Cable Car steigt aus und hebt den heruntergefallenen Stoffhasen der Kleinfamilie wieder auf.

Mit dem Bus die Van Ness runter. Es gibt keinen Knopf um den Wagen anzuhalten. Wie geht das? Hm? Die ganze Klasse?! Eine Leine geht durch den ganzen Bus am Fenster lang. ZIPF– Wagen hält. Eine Stadt wo high tech und old school sich gute Nacht sagen. Noch ein klassisches Rolling Rock zum Verdauen. Bis morgen!

3 Antworten zu “Rooftoprestaurant die Zweite, tausend Köstlichkeiten, 7 Folterschritte des Magens, 8 Zungenschmeichler oder ein Tag in Chinatown

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