Sinnliche sause durch drei Welten
Kaloriensparfrühstück: Banane, denn heute sind wir zum Lunch verabredet. Doch zuerst geht es in den Mission District um Stoff für Silke zu suchen. Wir haben nicht genug Münzen für die Parkuhr und ich gehe in einen Juwelenladen, um zu tauschen. Die Tür ist verschlossen und wird durch einen Summer erst geöffnet als man mich wahrnimmt – nur ein weiterer Kunde im Laden. Ich bringe mein Vorliegen vor und die Verkäuferin holt extra eine Rolle Münzen, um mir weiterhelfen zu können. Wir geben uns eine Stunde für die Mission in Misson.
Die Mission ist sowas wie Neukölln mit mindesten vier Obdachlosen pro Straße mit einem über allem liegenden Duft von Urin und Mittagessen. Als wir bei einem Räucherstäbchenverkäufer vorbeikommen, und der Dauergeruch für einen Moment aussetzt, kommt mir der Gedanke, dass die Erfindung der Räucherstäbchen verschiedensten Zwecken diente und die Überdeckung der schlimmen Gerüche wohl das wesentlichste Merkmal darstellt. Unvergessener Anblick: eine ca 25 Jährige Obdachlose schiebt ihr bewegliches zu Hause (Einkaufswagen) vor sich her, perfekt pink gefärbte und toupierte Frisur. Eine Mischung aus Gothik und Punk, die in Kreuzberg ihresgleichen gesucht hätte.
Es reihen sich Pawnshops (Pfandleihen) aneinander. Eine seltsame Mischung aus Gitarren und Schmuck und Werkzeugen beherbergt als Abteilungen in einem Laden. Sie sind nicht vergittert, wie in manchen Filmen dargestellt, aber es liegt eine potentielle Überfallsstimmung in der Luft (oder ist das die Projektion meiner Vorsicht?). Ich denke an Frau Pospischil und frage nach Plektrons, die hier „Picks“ heissen. Ham wa nicht, aber jehene se mal gegenüba. So ungefähr die Antwort auf sanFranciscisch. Tatsächlich im nächsten Pawn werden wir fündig und der Verkäufer/Umtauscher/Pawnman mit fast-ZZtop Bart (nicht in der Länge aber Dichte) erzählt uns er sei in Hamburg geboren und sein Bruder dort verheiratet. (ein Stimmchen schreit in meinem Kopf „Story, alter!!“, aber wenn schon – war ein nettes Schwätzchen).
Dann gibt es einen frischen Donut für Andreas. Das Essen sieht gut aus, auch die Gemüseläden stehen unseren türkischen Märkten in nicht nach, haben nur mehr Kakteen im Angebot und heissen „Mi Ranchito“, grob übersetzt „Unsre kleine Farm“, hihi.
Der Stoffladen ist voll und riecht zur Abwechslung so muffig wie Deko Behrend, wer den kennt. Also den Geruch. Leider keine Markenstoffe. Also wieder raus. Wir drehen noch eine kleine Runde, nehmen ein paar schöne Fotos von Häuserkunst mit und fahren zurück zum Motel. Kurzer Umzug – Sonnencreme. Ich sehe mittlerweile aus wie frisch aus dem Skiurlaub: blasse Augen und Stirn wegen dem Pony und die Wangen braun, so braun das eben bei einem Hüttenkäse wie mir eben geht. Herr Naurath hat keine Probleme in indischen Restaurants mehr, man ist nur über seinen Akzent verwundert. Die Lunchplanung gestaltet sich um, telefonieren ist hier unbezahlbar, deshalb simsen wir, aber der Hunger hat mich fest im Griff. Mit dem Bus nach Chestnut auf einen Cesars Salad (Ich bin süchtig danach, aber den besten hat bisher Heike gemacht). Dann mit Bus & DingDing nach Chinatown. Auf einem Platz gibt es ein chinesisches Open Air Konzert. Dorrt sitzen ca 15 ältliche Herren und musizieren, während ein Herr und eine Dame die Gesangsparts abwechseln. Was es war und worum es geht, entzog sich unserer Kenntnis. Jedenfalls kam und ging man pinkeln, eine Bratsche später dazu. Offenbar ist es am Wochenende möglich ohne große Regeln mitzumusizieren. In unseren ungeübten Ohren war die Instrumentalisierung sowieso nicht beurteilbar. Die Familie stößt zu uns und wir beobachten die Kinder auf dem nahegelegenen Spielplatz. Sofort werden Bekanntschaften auf dem Klettergerüst gemacht. Ein 7jähriges Mädchen hangelt sich mit unglaublicher Eleganz und gelangweilten Gesicht die Sprossen entlang. Wir stellen fest, dass sie schon Sandalen mit 3cm hohen Absätzen trägt – Suri ist im Alltag angekommen. Vorfreude für kommende Orthopäden Generationen.
Dann ein bisschen Hügel rauf und runter mit dem über allem schwebenden Getrockneter-Fisch-Geruch und irgendwas Strenges, das mich an DDR Plastik von früher erinnert, aber irgendwie auch typisch chinesisch riecht. Vielleicht existieren die einstmals gemeinsamen Produktionsstätten heute noch…
Nach einer Weile gibt’s Kaffee auf dem Union Square mit Jazz im Hintergrund. Dann heisst es Abschied nehmen. Wir wollen nichts versprechen, aber vielleicht geht der nächste blog von Australien los…
Mit dem Bus zurück zum Motel. In drei Sprachen (Englisch, Spanisch, Chinesisch) werden Sicherheitshinweise per Ansage durchgegeben. „Sitze frei geben, aufpassen beim Aussteigen, Grafiittis melden, festhalten“. Mein kabarettistisches Gehirn entwirft 28.000 Ideen, was man den Fahrgästen noch so mitgeben könnte…
Abschluss am Abend: Sushi delight. Wir gehen in „unseren“ Lieblingsladen. (Der Kugelfischvorhang ist ein Insidergruß an Michéle). Die Serviererin erinnert sich lebhaft an uns (soweit das Japanerinnen können) und dankt, dass wir wiederkommen..Sie hatte beim letzten Mal Andreas’ Bier über ihr eigenes Tshirt gekippt und war untröstlich. Wir waren froh, dass sie vor Scham nicht auf der Stelle Harakiri begangen hatte. Um so schöner war es diesmal und auch unfallfrei. Nach einem vollkommenen Mahl der weiteren Bliss Kategorie wanderten wir sakeseelig zum Motel. Vorletzte Nacht. Ein bisschen zu müde zum Schreiben, ließen wir die letzten Rolling Rocks zum Fisch hinabgleiten und empfahlen uns unseren Träumen.